Rechtstaat
„Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht.“ Mit diesem Satz vor laufender ORF-Kamera löste der österreichische Innenminister im Jänner 2019 eine heftige Diskussion aus, die in einem Misstrauensantrag im Parlament mündete. Leider erwies sich die Interviewerin des ORF als zu wenig schlagfertig, um mit dem „Zauberwort“ Gewaltenteilung nachzufragen.
Zeit und Ort der folgenden Geschichte sind beliebig wählbar: Einem absoluten Herrscher gefällt eine Frau aus seinem Volk – doch sie ist verheiratet. Also lässt er den Ehemann verhaften und vorführen. Während er ihn betrachtet, ein rothaariger Mann mittleren Alters mit Bart, lässt er sich die Königskrone aufsetzen und spricht: „Als König erlasse ich das Gesetz, dass rothaarige Männer mit Bart zum Tode zu verurteilen sind.“ Während der Schreiber noch das Datum unter das neue Gesetz schreibt, lässt sich der Herrscher Talar und Richterhut bringen und spricht: „Als Richter verurteile ich dich, laut Gesetz, zum Tode.“ Danach verlangt er nach der Bekleidung und dem Schwert des Henkers und spricht: „Ich werde nun das Urteil vollstrecken.“
Zwar eine böse, aber völlig frei erfundene Geschichte. Allerdings ist der Kern – als einzelner Mensch, oder als ganzes Volk der Willkür eines Tyrannen ausgeliefert zu sein – ein ständiger Begleiter der Menschheitsgeschichte. Erst in den letzten Jahrhunderten konnte sich, nach Revolutionen und auch nach Rückschlägen in Diktaturen, das Prinzip der Gewaltenteilung durchsetzen. Es geht also nicht darum, „wer wem folgt“, sondern darum, dass die gesetzgebende Körperschaft, das demokratisch gewählte Parlament, die unabhängig und weisungsfrei tätige Richterschaft und die Exekutive voneinander getrennt sind. Zusammengehalten jedoch durch die Verfassung ebenso wie durch internationale Rechtsnormen, u.a. jene der EU, die von allen einzuhalten sind. Dieses komplexe Zusammenspiel bildet das Gefüge unseres Rechtsstaates und die Basis unserer Zivilisation. Darüber können wir gar nicht oft genug diskutieren!