Empörungsmüde
„Ich bin ein bisschen empörungsmüde,“ stellte die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein bei der Landesversammlung der Wiener Grünen im Februar 2020 fest, um weiter auszuführen, dass es in Zukunft mehr und mehr um eine „Versachlichung“ gehen müsse. Wie wahr!
Seit 7. Jänner 2020, also seit rund einem Monat, ist die neue österreichische Bundesregierung im Amt. Wenn man jedoch manche JournalistInnen und ParlamentarierInnen der Opposition hört, erscheint die tägliche Empörung auf einem Niveau, als gelte es in Österreich mindestens 20 Jahre schlimmster Diktatur zu bekämpfen. Einen „Empörungsgipfel“ bildete in diesem ersten Regierungsmonat Kritik des Bundeskanzlers an der Justiz. Nach einem „runden Tisch“, an dem RegierungsvertreterInnen mit StandesvertreterInnen der RichterInnen und StaatsanwältInnen zusammentrafen, ging es um drei Punkte: Gerichtliche Verfahren würden teilweise viel zu lange dauern; die Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT); sowie in den letzten Jahren immer häufiger auftauchende Texte aus Gerichtsakten (Leaks), die in Zeitungen und Magazinen abgedruckt, zu einer medialen Vorverurteilung führten.
Sehr rasch konnte Einigkeit erzielt werden, dass die Justiz eben nicht einen „stillen Tod“ sterben dürfe, wie vom Justizminister der Übergangsregierung, Clemes Jabloner, angedroht. So wurden von der Regierung deutlich mehr Mittel für die Justiz im kommenden Budget zugesagt. Die Hausdurchsuchung im BVT ist bereits vom Oberlandesgericht Wien für rechtswidrig erklärt worden, was in den Medien als Debakel für das Landesgericht und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bezeichnet wird. Und bis heute konnte niemand erklären, welchen Mehrwert es haben soll, Teile von Gerichtsakten in Zeitschriften abzudrucken. Statt solcherart einer öffentlichen „Vorverurteilung“ Tür und Tor zu öffnen, wäre es wohl sinnvoller, sämtliche Informationen – auch solche aus „Leaks“ – der Staatsanwaltschaft zu übergeben und so die „Mühlen der Justiz“ nicht zu behindern, sondern zu unterstützen.