Zahnloser Tiger
Europäische Säule Sozialer Rechte: Nur ein „zahnloser Tiger“?
Die letzten drei Jahrzehnte brachten neben zwei Wirtschaftskrisen (2007/2009) große Veränderungen am Arbeitsmarkt durch Globalisierung und Digitalisierung.
Situation
Wirtschaft und Arbeitsmarkt kamen unter Druck, die Folge war die „Liberalisierung“ des Arbeitsmarktes: Verschlechterung des Arbeitsrechts bei Löhnen, Arbeitszeit und Vertragsdauer, damit Unsicherheit für ArbeitnehmerInnen. Dabei hat man vergessen, dass Arbeit nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine soziale Dimension hat. Gute und sichere Arbeit hält Reich und Arm zusammen. Sie ist der Kitt einer demokratischen Gesellschaft.
Politische Folgen
Vor allen das untere Einkommensdrittel der Arbeiterschaft fühlte sich von den Parteien und ihren Politikern vergessen und verraten. Die Reaktion darauf waren neue Parteien: wie „Front National“ in Frankreich, Alternative für Deutschland“ (AfD), „5 Sterne Bewegung“ in Italien mit nationalistisch-populistischer Prägung; zuletzt sogar die parteiübergreifende „Gelbwesten-Bewegung“ in Frankreich.
Insgesamt also eine politische Radikalisierung nach Rechts mit nationalistischen Tendenzen, die dem Einigungsgedanken der Europäischen Union entgegenstehen. Dazu kommen Lohngefälle und Unterschiede im Lebensstandard innerhalb der EU und ihrer Kandidaten am Balkan. Sie haben Abwanderung aus ärmeren und Gefahr von Lohndumping in reicheren Staaten zur Folge. Insgesamt ein Konfliktpotential, politischer Druck „von unten“.
Die Säule Sozialer Rechte.
Vor diesem Hintergrund wurde im November 2017 die Säule Sozialer Rechte feierlich verkündet. Wenn man genau hinsieht, hat sie vor allem zwei Elemente: die neuerliche Betonung von Rechten, die in Grundsatzpapieren der EU schon sozialer Besitzstand sind und daneben Zielvorgaben, deren Umsetzung im Hoheitsbereich der EU-Länder liegt.
Wichtige Elemente
Unter dem Titel „Faire Arbeitsbedingungen“ stehen sichere und anpassungsfähige Beschäftigung, der soziale Dialog, gesundes Arbeitsumfeld. Sozialschutz fordert eine umfassende Sozialversicherung mit Gesundheitsversorgung, definierten Mindestlöhnen und Alterseinkünften, aber auch Inklusion von Behinderten und Langzeitpflege. Also eine Absicherung für alle ArbeitnehmerInnen.
Kontrolle der Umsetzung
So eine Zielsetzung braucht Kontrolle und Zeitlimits für die Umsetzung. Daher ist die Kommission beauftragt, die Durchsetzung der Säule Sozialer Recht innerhalb absehbarer Zeit zu begleiten und zu kontrollieren.
Seit 2011 begleitet das „Europäische Semester“ die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten. Auch Arbeitsmarktbelange sind Teil dieser ständigen Überwachung. Dabei werden für jedes Mitgliedsland Fortschritte und Defizite in Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik erhoben und veröffentlicht.
Neue Impulse
Die neue EU-Kommission hat Eine „Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingen in der EU“ erlassen, die bis August 2022 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Sie will die beschäftigungspolitischen Leitlinien überarbeiten und eine Konsultation zu gerechten Mindestlöhnen durchführen. Außerdem sind die Schaffung eines Fonds für einen gerechten Übergang zur Digitalisierung, ein Aktionsplan für digitale Bildung und ein Gipfel zur Plattformarbeit geplant.
Die Säule Sozialer Rechte ist also ein Arbeitsauftrag für die Politik und eine Einladung zur Mitwirkung für ArbeitnehmervertreterInnen aller Ebenen. Eigentlich sind wir alle gefordert sie durchzusetzen. Das verlangt allerdings eines: man muss sie auch gelesen haben.
Alfred Zankanella
Bibliothekar des Dr. Karl Kummer Institut