Claudia
„Es ist genug. Und ich habe genug. Von euch und eurer Angst und Obrigkeitshörigkeit, vom Denunziantentum und dem „ich schütze andere“ (ach wie toll ich doch bin…). Nein. Ich habe Verantwortung, ja, allerdings nur für mich (und klarerweise noch für minderjährige Kinder), für meine Gefühle, meine Gedanken, meine Worte und mein Handeln. Für meine Sichtweise UND für mein SEIN. Es reicht.“ In der App des Chores folgte die Meldung: Claudia hat die Gruppe verlassen.
Als wäre er auch ein Chormitglied, hat der deutsche Philosoph Richard David Precht im Buch: „Von der Pflicht“ eine Betrachtung dazu angestellt, wie unterschiedlich es um das Pflicht- und Verantwortungsgefühl der Menschen bestellt ist, und welch große Unklarheit bei vielen besteht: Wie sehen sich Menschen als Staatsbürger? Was denken sie, was ihnen zusteht, und worin sehen sie ihre staatsbürgerliche Pflicht? Und was verrät uns die Krise über den diesbezüglichen Zustand der Gesellschaft? Das Wort „Pflicht“, in seinem alt- und mittelhochdeutschen Ursprung die Fürsorge und Obhut, die Teilnahme und der Dienst an der Gemeinschaft, bezeichnet ein hohes Gut der Gesellschaft. Die Pflicht ist, wie Friedrich Nietzsche sagt, „das Recht der anderen auf uns“. Pflichten zu haben und anderen verpflichtet zu sein ist kein Relikt aus einer vormodernen Zeit. Im Hinblick auf das Verhältnis zur Pflicht erscheint die Corona-Krise wie ein Brennglas. Zurückgeworfen auf die biologische Verletzbarkeit und auf den medizinischen Schicksalszusammenhang, wird unser Verhalten existenziell. Jede Haltung, die wir im Umgang mit dem Virus einnehmen, ist damit keine reine Privatangelegenheit mehr. Sie ist Teil nicht nur einer Ethik des Lebens, sondern auch des Zusammenlebens – und insofern eine Frage von Pflicht und Verpflichtung. Wie können wir unser Pflicht- und Verantwortungsgefühl stärken? – Haltungen, derer unsere Demokratie so dringend bedarf.
Spannende Fragen, auch für jene, die sich „entpflichten“ und gegen die staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit aller Bürger rebellieren. Doch werden die Claudias dieser Welt Precht lesen?